Freitag, 15. Juni 2018
Schicksale.
Mit der Steigerung meines beruflichen Erfolgs, so scheint es mir manchmal, hat im Gegenzug mein Erfolg beim anderen Geschlecht nachgelassen. Vermutlich verunsichere ich den ein oder anderen Mann oder zumindest komme ich immer wieder in die Situation, dass ich merke, dass mein Gegenüber nicht damit umgehen kann, dass ich ihn in puncto Souveränität um Meilen übertreffe. Manchmal denke ich dann an meine beginnenden Zwanziger zurück, in denen ich zwar auch schon furchtbar abgebrüht agierte, aber immerhin noch mädchenhafter aussah, außerdem manchmal durchaus schüchtern sein konnte und mir außerdem meiner Attraktivität noch nicht bewußt war. Nun hingegen fürchte ich, dass mir meine im Alltagsleben durchaus angenehme Entspanntheit, mein milder Sarkasmus und das Wissen, dass die Probleme von anderen mit mir meist recht wenig zu tun haben, noch nicht mal mit viel Phantasie als schüchtern oder mädchenhaft interpretiert werden könnten, und das sind nunmal aber leider die Eigenschaften, die die Männer, für die ich mich interessiere, für kapital wichtig halten, zumindest offenbar. Die einzigen, die mich zuverlässig anflirten, sind introvertierte, schmalbrüstige, jungenhafte Männer, vermutlich auf der Suche nach einer Mutterfigur, bei deren unbeholfenem Lächeln ich mich jedes Mal fassungslos in der Bahn zu meinem Spiegelbild in der Fensterscheibe drehe und mich innerlich laut aufseufzen höre.



Freitag, 1. Juni 2018
Abschiede.
Manchmal denke ich über all das nach mit diesen Dingen wie Partnerschaft und Beziehungen und dann denke ich darüber nach, dass ich an netten Männern einfach nichts finden kann, und, um mich langfristig für einen Mann zu interessieren, er schon eine gewisse Abgründigkeit besitzen muss, dass ich ihn zumindest als einigermaßen auf Augenhöhe akzeptieren kann. Diese Abgründigkeit widerspricht aber dadurch, dass sie im Normalfall viel Chaos erzeugt, meinem ureigenen und vermutlich zu meinem Begehren völlig paradoxem Bedürfnis nach absoluter Ruhe, was früher oder später dazu führt, dass ich mich frage, warum in aller Welt ich mein so wundervoller Alleinesein aufgegeben habe für ein chaotisches mit jemandem sein, der es immerzu schafft, sich und meinen disziplinierten Alltag durcheinanderzubringen. Vermutlich sehne ich mich innerlich manchmal nach diesem arnarchischen Etwas und fühle mich deshalb zu dieser Eigenschaft hingezogen, während sie mich gleichzeitig fürchterlich abstößt und ich mir nur noch Ruhe wünsche. Vielleicht heißt es, einfach und auf Dauer Abschied nehmen von der Vorstellung, Partnerschaft wäre in jedem Fall für jeden Menschen eine Bereicherung und Verbesserung seiner Lebensumstände.



Freitag, 25. Mai 2018
Vorstellungen.
Letzten Herbst war er mir bei unserer ersten Begegnung sofort aufgefallen. Attraktiv war er im eigentlichen Sinne nicht, aber seine massige Gestalt, die sanfte dunkle Stimme, die großen Hände und die Art, wie er ruhig und unaufgeregt und trotzdem so charmant dort saß, faszinierten mich. Als es dann an ihm war, eine Rede zu halten, setzte er seine Brille auf und wie er dort so stand, in seiner unaufgeregten Intellektualität, schoß mir ein Bild durch den Kopf, wie er und ich morgens zeitungslesend frühstücken und in einer unaufgeregten Vertrautheit zusammensitzen würden. Auch schoß mir ein Bild durch den Kopf, wie ich mit ihm schlafen würde, meinen schlanken Körper gegen seinen massigen drücken würde, und die Vorstellung gefiel mir nicht wenig.
Aber nichts dergleichen passierte. Er erzählte davon, dass er sich nach der Veranstaltung noch eine Ausstellung ansehen wollte und ich sagte: Ach, das würde mich auch interessieren. Aber er fragte nicht und ich sagte dann auch nichts mehr, und schließlich endete der Tag noch damit, dass ich erfuhr, dass er gar nicht auf Frauen stand. Mir blieb damit nur die Vorstellung des Frühstücks und der Intimität mit einem im entschiedendsten Sinne unerreichbaren Mann, und das deprimierte mich doch einige Tage.



Dienstag, 22. Mai 2018
Angebote.
Ich kann mich noch gut an ihn erinnern, den Schauspieler aus Thüringen, mit dem ich mich unterhielt, während er an einer Betonsäule stand und sich, warum auch immer, an ihr festhielt. Er war nicht sonderlich hübsch, aber er hatte so einen wilden Charme, und so sah er, trotz mächtigem Bauch und eher ungepflegter Erscheinung, doch auf eine seltsame Art gut aus. Auf der Party im Keller eines anderen Schauspielers dann, saß ich irgendwann aus Platzmangel auf seinen Beinen, ich sagte: Du könntest mich ja auch fragen, ob ich mit zu dir gehen will., und er sagte: Ich habe aber eine Freundin., und ich sagte: Das war gerade auch kein Heiratsantrag, sondern ein anderes Angebot.
Seine Hand rutschte unter meine Bluse und er strich mir über den Rücken, er rang sichtlich mit sich selbst und sagte dann: Los, wir gehen! Nie werde ich vergessen, wie wir aus dem Keller an die kühle Nachtluft kamen, und er mich, vermutlich, wie er es auf der Bühne tat, vermeintlich in wilder Begierde ansah, was in meinem Empfinden derart urkomisch und lächerlich anmutete, dass ich verzweifelt versuchte, meinen Gesichtsausdruck nicht allzu stark entgleiten zu lassen.
Als ich etwa zwei Stunden später in seiner Schauspielerwohnung aufstand und mich anzog, sagte er: Bleib doch noch. Ich bleibe nie, sagte ich und ging.



Donnerstag, 10. Mai 2018
Vorlieben.
Wieder einmal einer dieser Sektempfänge, bei denen ich eigentlich nach dem ersten Glas mit dem Sekt aufhören oder zumindest auf Wein umsteigen sollte, und es dann doch nicht tue. Hinzu kommt, dass jedes Mal, wenn ich gehen will und deswegen schnell den Rest meines Sekts hinunterstürze, mir direkt nachgeschenkt wird und ich dann doch noch einen Moment bleibe und doch noch ein Glas mehr trinke. Dem bärigen Typen gegenüber ist das ganz recht, der mir schon eine ganze Weile Komplimente macht. Als alle über eine amüsante Anekdote lachen, legt er mir gar die Hand auf die Schulter und lässt sie eine Weile dort. Rein vom Äußeren wäre er trotz seines recht jungen Alters sogar mein Typ: kräftig, breite Schultern, starke Unterarme. Leider gibt es ein entscheidendes Problem: Ich stehe überhaupt nicht auf nette Männer.



Montag, 7. Mai 2018
Entscheidungen.
Der Frühling, so schrieb ich neulich, macht mich anscheinend ein wenig sentimental. Und tatsächlich führt dieser Frühling und die Hitze und allerlei Seltsames dazu, dass ich nachdenklich inmitten von lauter attraktiven Männern sitze und gedanklich ganz woanders bin. Der Bratschist aus Paris prostet mir zu und ich denke darüber nach, wie unfassbar schön er ist, aber dann denke ich darüber nach, dass er schon so schön ist, dass ich ihn maximal küssen könnte, aber mehr nicht, sonst käme ich mir vor, als würde ich seine jugendliche Schönheit mit meinen schmutzigen Gedanken zerstören. Der junge Komponist flirtet mit mir und ich denke nach, dass er eigentlich auch nur sehr erfolglos ist, und was ich darüber denke, dass Männer zu ihrer Erfolglosigkeit selten selbstbewusst stehen können, sondern meistens nur wie schlechte Verlierer dastehen. Und dann wird mir erzählt, welche früheren Schulkameradinnen nun schon das zweite oder dritte Kind bekommen, und dass sie immer noch oder nun wieder in dem alten Kaff sind, und sie sehen es als den richtigen Weg und ich sitze abends rauchend alleine unter dem Sternenhimmel und frage mich, wie zur Hölle man sich für Kinder, Dorf und Erfolglosigkeit entscheiden kann, und warum alle Männer auch noch auf so eine Schwäche zu stehen scheinen. Mein Dogmatismus kommt mir zwar seltsam einseitig vor, aber eine andere Perspektive scheint mir dann doch zu weit hergeholt.



Mittwoch, 2. Mai 2018
Paradoxon.
Es gibt so einige, die sind wie du, die in gewisser Hinsicht zu glatt, zu souverän, zu gesellschaftsgeübt sind. Die in jeder Situation wirken, als hätten sie die Kontrolle, als würde sie nichts tangieren, als würde ihnen alles nichts ausmachen, als würde ich ihnen nichts ausmachen. So wie der eine, der den einen Abend den Arm um mich legte, seine Hand unter meinen Rock rutschen ließ, und am nächsten Tag völlig unbeeindruckt mit mir plauderte. So wie der andere, der mir immer wieder einen Wein ausgibt und wir dann eng nebeneinandersitzen und er mich anstrahlt, aber dann nichts mehr passiert.
Einmal beschwerte ich mich darüber bei einer Freundin und sagte: Wie können sie nur alle so souverän und kontrolliert wirken., und sie sah mich erstaunt an und sagte: Was denkst du, wie du erst wirkst? Was hast du denn gemacht? Und ich dachte zurück und daran, dass ich mit dem einen auch geschäftsmäßig und unbeeindruckt plauderte, und mit dem anderen auch lächelnd und charmant Smalltalk hielt, aber auch nichts tat, weil es mir nichts ausmachte, mich nichts tangierte, ich die Kontrolle hatte.



Sonntag, 29. April 2018
Wiedersehen.
Wieder einmal bin ich ihm über dem Weg gelaufen, diesem Kulturdezernenten, der mich diesmal zu erkennen schien, woraufhin ich ihn im Vorübergehen lange ansah. Im Orchester spielte der Cellist. Ich fühlte mich wehmütig. Das Frühjahr macht mich, warum auch immer, anscheinend etwas sentimental.



Donnerstag, 26. April 2018
Melancholien.
Ich hätte, wie immer oder mindestens von Zeit zu Zeit, Lust, jemand Fremden zu treffen. Auf eine Anzeige zu antworten, und ihn dann im Café oder Restaurant treffen und dort schon verrückt zu machen, dann mit ihm mitzugehen und das alles. Aber die Männer, ach, die Männer. Entweder sie beschreiben sich als "hübsch, Typ Geschäftsmann" und sind dann alte Säcke, von hübsch keine Spur und noch weniger von Geschäftsmann, oder sie sind von vornherein schon albern und wollen "viel Zärtlichkeit und Kuscheln", da dreht sich bei mir direkt der Magen um. Gibt es nicht mehr den klassischen Affärenmann? Der eine liebe, nette, brave Ehefrau zuhause hat und jetzt für gewisse Stunden junge Abwechslung sucht? Der vielleicht im Alltag etwas anstrengend oder auch unterkühlt ist, aber zumindest tageslichttauglich und nicht ganz dumm, so dass zumindest ein Smalltalk möglich ist? Wo ist so ein Mann...?



Samstag, 21. April 2018
Überraschungen.
In meinen Mittzwanzigern arbeitete ich bei einem Projekt in einer anderen Stadt. Schon bei den Probenzeiten erfuhr ich, dass der weibliche und der schwule Teil des Orchesters rettungslos verliebt in den blonden Posaunisten war, dieser jedoch niemanden eines Blickes würdigte.
Auf der Premierenfeier stand ich in der Tür und unterhielt mich, als der Posaunist durch ebenjene schritt, wie vom Donner gerührt stehenblieb und mich ansah: Hi., ich sah ihn verdutzt an und sagte, mit deutlicher Ironie: Hi?. Ab da wich er nicht mehr von meiner Seite. Die Bratschistin und die Klarinettistin sahen ungläubig und eifersüchtig herüber, während er seinen Arm um mich legte, mich umgarnte und mir eindeutige Angebote machte. Wie alt bist du eigentlich., fragte ich ihn noch und er sagte, er sei dreiundzwanzig. Zu jung, eigentlich, und so hübsch und galant, dass er seinen Hahnenstatus verdient hätte, fand ich ihn eigentlich auch nicht, aber ich fühlte mich, das muss ich doch deutlich sagen, geschmeichelt und so kam er mit nach Hause.
Am nächsten Tag, nachdem ich ihn doch mehr oder weniger brüsk hinausgeworfen hatte, da er mir deutlich zu anhänglich war, sagte eine Kollegin: Na, da hattest du aber Glück, er ist nämlich gerade erst achtzehn geworden., und ich sah sie entsetzt an. Aber er schien nun auch immer wegzusehen, wenn wir uns sahen, und ich tat es nicht weniger und eigentlich war es mir auch egal.
Bis zur Abschiedsfeier, als ich mit dem Techniker am Tisch saß und flirtete, und der Posaunist plötzlich neben uns stand. Er vertrieb die Klarinettistin vom Stuhl neben mir, setzte sich, und legte unter dem Tisch direkt seine Hand auf mein Bein, aber dort blieb sie nicht, nein, er ließ sie direkt zwischen meine Beine rutschen. Ich flirtete unbeeindruckt weiter mit dem Techniker, während er dort immer heftiger zugange war. In der allgemeinen Aufbruchsstimmung legte er wieder seinen Arm um mich, und, auf der Straße angekommen, zog er mich in den nächsten Hauseingang, schob mir meine Bluse hoch und umfasste mich leidenschaftlich. Ich war froh, dass es dunkel war, musste ich doch ein Lachen unterdrücken und die völlige Verständnislosigkeit, was zur Hölle er eigentlich von mir wollte, also: von mir? Aber ich ließ ihn gewähren, und später verabschiedeten wir uns recht trocken. Das war das letzte Mal, dass wir uns gesehen haben.