Abschnitte.
Gestern abend, als ich auf dem Balkon der Villa im Grünen sitze, wird mir schlagartig bewusst, dass ein Teil meines Lebens vorbei ist.
Die letzten Jahrzehnte habe ich damit verbracht, von einem morgen zu träumen, in dem ich erfolgreich wäre, respektiert, gefragt, mit einem Partner an meiner Seite. Anstatt im Moment zu leben, habe ich mir vorgestellt, wie ich das, was ich gerade tue, teilen würde, mit dem, der da eines Tages käme, und ich war immer überzeugt, dass das nie passieren würde, dass da niemand käme.
Und jetzt? Jetzt bin ich da, wo ich sein wollte. Ich erhalte Mails mit Angeboten, die Blicke hängen respektierend und bewundernd an mir, der Mann ist ein Traum, und der Sex ist toll. Was will man mehr.
Aber gestern, plötzlich auf dem Balkon, als ich den Gin Tonic in der Hand halte, und meinen Blick über das Grün schweifen lasse, wird mir klar, dass die Suche vorbei ist. Die Jahre des Leidens, des Verachtetwerdens, des Fallens, der Scheiße, der Abstürze, Unsicherheit, des Einsamseins. Des Gefühls, dass es keinen interessiert, wenn man sterben würde.
Das absurde ist jetzt, dass ich diese Jahre, Jahrzehnte des Suchens und Leidens jetzt schon fast vermisse. Es war schlimm. Aber aufregend. Ich wusste nie, was morgen kommt, wie es mir morgen geht, wohin der Weg führt. Illusion, Desillusion, Tragödie - alles lag so eng beieinander.
Ich habe Angst, dass es jetzt lau wird.




schreibwut am 07.Aug 19  |  Permalink
Jahre lang wünscht man sich das, was andere haben.. Normalität.. Probleme, die nichtig sind, behaftet von Luxus.. Normal in der Gesellschaft.. Einen Platz haben und nicht außen an einer Glaskuppel stehen und an die Scheibe klopfen..

Wenn es so weit ist, dauert es einen Augenblick, bis man es merkt.. Wenn man es merkt, dauert es einen Augenblick, in dem man sich darüber freut und meint ein "endlich" in den Gedanken zu hören.. Nach dem endlich folgt eine Weile des Rumdümpelns und dann.. ja dann... hat man das Gefühl man sei nicht mehr der, der man war.. Alles was einen geprägt hat, verliert seine Relevanz.. Man ist nur ein Schatten in der Gesellschaft, man ist wie alle anderen.. Ich warte noch auf den Augenblick an dem ich wie ein Phönix aus der Asche auferstehe.. Ich warte.. und scharre mit den Füßen.. Denn eines ist sicher, stehst du nicht ohnehin kurz vor dem Exitus, kommt das Chaos wieder - auf die eine oder andere Weise. Ich wünsche dir, dass du es bis dahin genießen kannst, ich kann es nicht und schüre das Chaos, bis es mich endlich wieder hat..

colchicum autumnale am 10.Aug 19  |  Permalink
Danke dir... und ja, das Gefühl, dass man das Chaos so lange schürt, bis es einen wieder hat (das ist ja der Teil, den man kennt und kann), werde ich auch nicht los...