Die Gewohnheit der Isolation.
Der Mann bezeichnet sich immer als Misanthrop. Tatsächlich vermisst er nun aber doch seine Freunde. Nun trinkt er per Zoom-Stammtisch ein Bier und lacht und freut sich.
Ich wohne jetzt fast ein Jahr hier. Hier in der Stadt, in die ich wegen dem Mann gezogen bin. Und ich kenne hier immer noch niemanden. Klar, ich kenne seine Freunde, aber das sind eben seine Freunde, auch wenn ich sie mag, aber es wären nunmal nicht meine Freunde. Mich nervt auch die Dankbarkeit, die von mir erwartet wird, weil sie mich ja ach-wie-gut aufgenommen hätten, so als wäre das etwas, wofür ich dankbar sein müsste, aber mich nervt auch meine Genervtheit und meine Arroganz, dass ich insgeheim glaube, dass ich viel zu gut für sie alle bin.
Aus der Metropole in die mittelgroße Stadt, das war ein Schlag für mein Ego. Und vielleicht denke ich deswegen bei jedem, den ich kennenlerne: Wer freiwillig hier wohnt, der kann mit mir ja kaum etwas gemein haben. Natürlich liegt es auch daran, dass ich die Hälfte der Woche gar nicht da bin, weil ich drei Stunden weg arbeite; natürlich liegt es auch daran, dass ich den Rest der Woche Homeoffice mache, und die wenige Zeit dann eigentlich am liebsten meine Ruhe habe; und natürlich liegt es daran, dass jetzt, wo ich dank Corona zuhause bin, wegen Corona aber die Zeit zuhause nicht mit dem Knüpfen von Freundschaften verbringen könnte.
Mir fehlt so gar nichts in der Isolation. Mein Leben ist im Grunde dasselbe, nur dass die vielen Meetings nun per Video statt in real stattfinden und ich nicht die Hälfte der Woche im Zug verbringe. Ich merke aber auch, dass mir in der Isolation nichts fehlt, weil mein Leben im Grunde immer in der Isolation stattfindet. Ich sehe meine Familie eh nur zweimal im Jahr, also macht das eine Mal weniger auch nichts aus. Die Freunde, die ich zu meinen engeren zähle, treffe ich aufgrund der großen Distanz zwischen uns, auch nur im Schnitt zwei- bis viermal im Jahr - auch hier also: keine Umgewöhnung. Wen ich sehe, ist: der Mann (auch jetzt), meine Kollegen (nun also per Video) und die Freunde des Mannes (die mir jetzt nur so bedingt fehlen). Ich sehe also im Alltag abgesehen vom Mann sowieso keine Leute, aus denen ich mir irgendetwas mache. Eigentlich bin ich also immer isoliert. Ehrlich gesagt fühle ich mich auch oft so.
Das klingt traurig, ehrlich gesagt. Und, schockierenderweise: Es ist es auch.




coronaguy am 17.Apr 20  |  Permalink
Haben Sie mal daran gedacht, sich in Zusammenhänge zu begeben, die nicht so gefühlskalt, materialistisch und oberflächlich sind? Dann müssten Sie sich nicht immer wieder über Isolation und innere Leere beklagen. Von außen gesehen scheint das nicht sehr schwer verständlich.

Es würde allerdings bedeuten, Ihre Bindungsunfähigkeit nicht mehr wie etwas Positives zu zelebrieren, sondern sich auf Bindungen mit Menschen, die es wert sind, voll und ganz einzulassen. Was befürchten Sie denn? Echte Emotionen? Statusverlust? Verantwortung?

Ein merkwürdiges Blog, das Sie da seit über zwei Jahren führen. Sie schreiben stilstisch oft brillant, sind offensichtlich intelligent, bestens ausgebildet, beruflich erfolgreich und vom Lebensalter her in Ihren Dreißigern – also warum gebärden Sie sich dann wie eine Pubertierende?