Vorstellungen.
Letzten Herbst war er mir bei unserer ersten Begegnung sofort aufgefallen. Attraktiv war er im eigentlichen Sinne nicht, aber seine massige Gestalt, die sanfte dunkle Stimme, die großen Hände und die Art, wie er ruhig und unaufgeregt und trotzdem so charmant dort saß, faszinierten mich. Als es dann an ihm war, eine Rede zu halten, setzte er seine Brille auf und wie er dort so stand, in seiner unaufgeregten Intellektualität, schoß mir ein Bild durch den Kopf, wie er und ich morgens zeitungslesend frühstücken und in einer unaufgeregten Vertrautheit zusammensitzen würden. Auch schoß mir ein Bild durch den Kopf, wie ich mit ihm schlafen würde, meinen schlanken Körper gegen seinen massigen drücken würde, und die Vorstellung gefiel mir nicht wenig.
Aber nichts dergleichen passierte. Er erzählte davon, dass er sich nach der Veranstaltung noch eine Ausstellung ansehen wollte und ich sagte: Ach, das würde mich auch interessieren. Aber er fragte nicht und ich sagte dann auch nichts mehr, und schließlich endete der Tag noch damit, dass ich erfuhr, dass er gar nicht auf Frauen stand. Mir blieb damit nur die Vorstellung des Frühstücks und der Intimität mit einem im entschiedendsten Sinne unerreichbaren Mann, und das deprimierte mich doch einige Tage.