Risse im Selbstbild.
Am Sonntag sitzen wir auf dem Balkon unserer Jugendstilvilla, trinken Gin Tonic und der Mann sagt: Ich geh morgen mit XY abends ein Bier trinken. Ich sage: Ach, schön, dann mache ich was mit...
Ich stocke.
mit....
Ich überlege.
Ich überlege länger.

Kurzer Gedankensprung: Vor etwa einem Jahr saß ich noch auf dem verschlissenen Balkon meiner kleinen Wohnung in der Metropole, guckte auf den Garten, in dem die tätowierte Frau im Spaghettiträgertop mit grünen Haaren und Raucherstimme ihren Sohn anbrüllte. Ich war völlig am Ende. Ich hatte schlicht zu viele Sozialkontakte. Mir war schon schlecht von dem vielen Kaffee und Kuchen, auf den ich mich täglich mit A und B und C und D traf. Mein Terminkalender platzte aus allen Nähten, und das zusätzlich zu den zig beruflichen Terminen. Ich musste etwas tun, und fing an, auszusortieren. Mit A hatte ich eh nichts mehr gemeinsam. B war weggezogen und ich hatte keine Lust, jedesmal zu fahren. C bekam es nie hin, sich von sich aus zu melden, und D? Ach, die traf ich doch eh nur, weil ich es nicht übers Herz gebracht hatte, ihr zu sagen, dass ich sie eigentlich gar nicht mag.
Für mich war es also ein Erfolg, mein Umfeld auszusortieren, Freundschaften hinter mir zu lassen.Es machte ja auch nichts. In der Metropole gibt es immer Nachschub, man lernt ja sowieso ständig neue Leute kennen.

Und dann, dann kam der Mann.
Der Mann, wegen dem ich die Metropole verließ.

Und jetzt sitze ich auf dem Balkon jenseits der Metropole und weiß, nachdem die gute X im Urlaub ist, und ich keine Lust habe, für ein Glas Wein am Abend zwei Stunden zu Z zu fahren, zur Hölle nicht, mit wem ich einen Abend verbringen kann.
Und es gibt keinen Nachschub. Das hier ist nicht die Metropole. Ich bin die Hälfte der Woche nicht vor Ort. Vor lauter Arbeit, dem Wunsch nach Ruhe und Alleinsein und dem überdimensionierten Freundeskreis des Mannes habe ich gar nicht bemerkt, dass mein Umfeld sich zahlenmäßig erst dezimiert hat und sich langsam aber sicher Richtung Null bewegt.

Der Mann will helfen, schlägt vor, ich solle doch etwas unternehmen, mich in einem sozialen Netzwerk anmelden, einen Kennenlernabend mitmachen. Am nächsten Tag erzählt er XY davon, der glaubt, ich solle mich in einem Künstlerdorf engagieren. Mich machen die Vorschläge fassungslos. Als sei ICH jemand, der verzweifelt nach Bekannten suchen müsste!
Aus Langeweile schreibe ich K., die einzige aus dem Bekanntenkreis des Mannes, die selber in der Metropole gewohnt hat, selber hier ins Grüne gezogen ist und mir letztens einsam schien mit ihrem viel zu großen und viel zu unbeholfenen Mann. Sie schreibt freudig zurück, was mich kaum interessiert. Der Mann glaubt, mich aufmuntern zu müssen und sagt: Ja Mensch, toll, wie nett sie dir geschrieben hat! Als sei ICH jemand, der dankbar sein müsste, wenn sich jemand mit ihr treffen will!

Das Ganze macht mich fassungslos. Mich macht es fassungslos, mir den Mann mit seinem Freund XY vorzustellen, wie sie gemeinsam überlegen, wie ICH Freunde finden könnte, ICH, die in den letzten Jahrzehnten von Stadt zu Stadt zog und sich nach kürzester Zeit vor Sozialkontakten kaum retten konnte. Nur weil ich in dieser Provinz gelandet bin, und hier in der Jugendstilvilla fernab jeglichen Lebens keine Chance habe, rauszukommen, zu atmen, diesem Gefängnis der ganz eigenen Sorte zu entfliehen.

Es wird Zeit, dass mein Urlaub vorbei ist und ich mich wieder in die Arbeit stürzen kann.