Abgründe.
Mein Leben entgleitet mir. Völlig. Gestern auf einer Vernissage angestoßen, Sekt getrunken, den Wodka der Gastgeberin geleert, mit der Begleitung auf der Rückfahrt beim Umsteigen das erste Bier, abends am Hauptbahnhof angekommen, gesagt: Los, wir holen uns noch eines., aus dem einen Bier wurden fünf, und irgendwann, während wir an irgendeinem See liegen, sehe ich meine Begleitung an, diesen feingliedrigen jungen Typ aus guter Familie, und obwohl ich ihn als letzten Mann auf dieser Welt flachlegen würde, muss ich mich plötzlich zusammenreißen, ihn nicht anzumachen. Auf der Heimfahrt sitze ich in der Bahn und gebe das gleiche Bild ab wie so oft in letzter Zeit. Den Kopf in die Hände gestützt, der Magen so kaputt wie der Kopf, frage ich mich, was zur Hölle aus mir noch werden soll.
Unknown.
Ich bin völlig erschöpft. Zu viel Schlafmangel, zu viel Arbeit, zu viele Schmerzmittel, die die Kopfschmerzen übertünchen sollen. Zu viel Denken, vor allem zu viel Denken an dich und daran, was das nun alles war und was es sollte und was es bedeutet oder ob es überhaupt etwas bedeutet. Ich weiß es nicht. Ich bin auch zu müde und zu kaputt, um darüber nachzudenken. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich die ganze Zeit daran denke, daran und an dich.
Einsichten.
Jeder weitere Tag mit ihm macht mich krank. Seine manipulativen Spielchen, seine Art, die Dinge solange umzudrehen, bis er der Normale und die Welt gestört ist. Seine Rücksichtslosigkeit, mit der er mein Leben jeden Tag schwerer macht. Seine Unzuverlässigkeit in hundert von hundert Fällen.
Noch kranker macht mich allerdings, wie blind ich war. Dass ich an mir gezweifelt habe, daran, dass mein Gefühl richtig war. Dass ich nicht gemerkt habe, was wirklich los ist. Dass es mir bis heute schwer fällt, konsequent zu sein, sobald er seinen reumütigen Hundeblick aufsetzt.
Vorgestern war ich dann einmal konsequent. Ich sagte: Nein, das hat jetzt eben einfach Konsequenzen., und da rannte er raus, knallte mit der Tür und mir wurde erst da so richtig bewusst, dass er für mich als Mensch und Person noch nie etwas empfunden hat.
Ich war und bleibe Mittel zum Zweck.
colchicum autumnale am 27. September 18
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Suchen.
Vielleicht suchen Sie nach Schutz., sagt die Frau mit der Brille fachmännisch. Schutz, denen Ihnen in der Vergangenheit niemand bieten konnte und von dem Sie jetzt denken, dass Sie ihn nur bei sich selbst bekommen.
Ich denke nach.
Zwischen Eingeengtsein und dem Gefühl, man ist dem anderen völlig egal, ist ja eigentlich ziemlich viel Raum. Aber in meinem Leben fällt irgendwie alles immer von einem ins andere.
colchicum autumnale am 18. September 18
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Ankommen.
Abends, der frühherbstliche Himmel hängt über mir, ich atme ein, die Mischung aus U-Bahn-Luft, Abgasen und Imbissbudengeruch und fühle mich zuhause. Der Herbst kommt, das grelle Sommerlicht ist endlich vorbei, meine innere Uhr tickt wieder langsamer, alles ist ruhiger, jetzt. Dass er weg ist, dass ich weg bin, dass niemand mehr da ist...ich sehe mir den Gedanken an, seufze, und gehe nach Hause.
colchicum autumnale am 11. September 18
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Annäherungen.
Er sitzt neben mir, und während die Frau am Klavier Debussy spielt und alle konzentriert oder verträumt nach vorne sehen, notiere ich unbemerkt meine Handynummer auf dem Programmzettel. In einer Zwischenpause, nach dem Applaus, kurz vor dem nächsten Stück, sage ich: Entschuldigung, ich glaube, das war Ihr Programm., und vertausche seines mit meinem. Als er die Nummer darauf bemerkt, sieht er mich von der Seite an, während ich unbeeindruckt der Pianistin lausche. Noch am gleichen Abend klingelt mein Telefon.
Wünsche.
Langsam, aber doch stetig geht es mir leichter von den Lippen: getrennt. Single. Es ist immer noch ungewohnt. Auch das offene Flirten ist ungewohnt, instinktiv denke ich immer noch, ich dürfte mich dabei nicht erwischen lassen. Ich bin auch hin- und hergerissen zwischen dem, was ich will, und dem, was ich auf gar keinen Fall will. Ein bisschen Gemeinsamkeit, aber ja nicht zuviel. Ein bisschen Nähe, aber bloß nicht zu eng. Ein bisschen Verbindlichkeit, aber bitte nicht so nervig.
Ich habe mich all die Jahre beschwert, dass meine Partnerschaft eigentlich nie wirklich partnerschaftlich war. Aber lag das nicht auch an mir? War ich nicht eigentlich froh, dass es so war, wie es war, weil ich auch keine Verpflichtungen hatte? Weil es mich so wahnsinnig nervt, auf jemanden eingehen zu müssen, oder für jemanden da sein zu müssen oder mich um jemanden kümmern zu müssen, das alles ist mir völlig zuwider und widerspricht meiner ganzen Natur.
Antinostalgie.
Seltsam mutet die zeitweilige Rückkehr in ein altes Leben an. Bei einem Aperol in einer Bar lauter Menschen von früher. Sie, die damals so cool und selbstbewußt waren, stehen nun da und haben nichts erreicht und erkennen mich, die Erfolgreich-Souveräne nun nicht mehr, über die sie damals nur lachten. Aber ich fühle weder Schadenfreude, noch das Gefühl ausgleichender Gerechtigkeit, nur die alte Enge und ein bisschen Mitleid für die Da- und irgendwie auch Zurückgebliebenen.
Schreiben und Veränderungen.
Eigentlich hatte ich wieder angefangen zu schreiben, um meine Selbstverständlichkeit wiederzufinden, die ich zu der Zeit, als ich früher täglich schrieb, immer hatte. Den einen Tag war ich mit dem Techniker im Café und dann bei mir, am Abend küsste mich ein Bundeswehrsoldat in einer Ecke des Clubs, am nächsten Morgen war ich frühstücken mit dem Maler und am Nachmittag traf ich den Schauspieler.
Das alles ist lange her, und das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist, dass ich danach ihn kennenlernte, den charmantesten Lügner, den man sich vorstellen kann. Und obwohl wir nun, nach all den Jahren, kein Paar mehr sind, hat er alles, hat er mich verändert. Ich kann es irgendwie nicht mehr. Wenn ich heute mit dem Techniker im Café wäre, würde ich seine immergleichen Geschichten und seine absurde Laberei nicht aushalten, denn natürlich ist seine Freundin gerade schwanger, während er sich mit mir amüsiert. Am Abend würde ich den Bundeswehrsoldaten vielleicht küssen, aber dann wäre ich so genervt von seinem anhänglichen Hundeblick, dass ich mich schnell aus dem Staub machen würde. Beim Frühstück mit dem Maler würde ich sein Selbstmitleid und die Eifersucht nicht mehr still mit einem Lächeln quittieren und am Nachmittag mit dem Schauspieler verzweifeln ob seiner Schwäche, mit seiner eigenen Schwäche umzugehen.
Man könnte sagen, ich sei anspruchsvoller geworden, aber das stimmt nicht. Ich bin nur müde geworden. Müde davon, Unsicherheit und Schüchternheit zu faken, weil die meisten Männer Angst bekommen, wenn sie spüren, dass eigentlich sie der schwache Part sind. Der Einzige, der immer mit mir auf Augenhöhe war, war er. Der charmante Lügner. Der die schönsten Liebesnachrichten an mich schrieb, wenn eine andere neben ihm lag.
Unabsichtlichkeiten.
Ich stehe in der Cafeteria in der Schlange, als ich merke, wie ein Mann im hinteren Teil des Raumes meinen Blick auffängt. Wir sehen uns an, und dann steht er auf, und stellt sich hinter mich, die Tasse in der Hand. Ich sage: Wollen Sie das nur abgeben, dann können Sie ruhig vorgehen., er sagt: Ich habe Zeit., lächelt und sieht mich tief an. Ich lächle auch, und er beugt sich zu mir und sagt: Und, was ist Ihre Profession., ich will gerade antworten, als die Mitarbeiterin der Cafeteria sagt: Wenn Sie nur abgeben wollen, dann bitte jetzt., und ich sage ironisch: Na, jetzt müssen Sie doch vorgehen., und mir scheint, er fasst das als einen Korb auf, nachdem er plötlich ganz miesepetrig dreinschaut, seine Tasse hinknallt, den Koffer nimmt und abrauscht und mich, gelinde gesagt, ziemlich verwirrt zurücklässt.