Sonntag, 12. August 2018
Antinostalgie.
Seltsam mutet die zeitweilige Rückkehr in ein altes Leben an. Bei einem Aperol in einer Bar lauter Menschen von früher. Sie, die damals so cool und selbstbewußt waren, stehen nun da und haben nichts erreicht und erkennen mich, die Erfolgreich-Souveräne nun nicht mehr, über die sie damals nur lachten. Aber ich fühle weder Schadenfreude, noch das Gefühl ausgleichender Gerechtigkeit, nur die alte Enge und ein bisschen Mitleid für die Da- und irgendwie auch Zurückgebliebenen.



Donnerstag, 28. Juni 2018
Schreiben und Veränderungen.
Eigentlich hatte ich wieder angefangen zu schreiben, um meine Selbstverständlichkeit wiederzufinden, die ich zu der Zeit, als ich früher täglich schrieb, immer hatte. Den einen Tag war ich mit dem Techniker im Café und dann bei mir, am Abend küsste mich ein Bundeswehrsoldat in einer Ecke des Clubs, am nächsten Morgen war ich frühstücken mit dem Maler und am Nachmittag traf ich den Schauspieler.
Das alles ist lange her, und das ist aber nicht das Problem. Das Problem ist, dass ich danach ihn kennenlernte, den charmantesten Lügner, den man sich vorstellen kann. Und obwohl wir nun, nach all den Jahren, kein Paar mehr sind, hat er alles, hat er mich verändert. Ich kann es irgendwie nicht mehr. Wenn ich heute mit dem Techniker im Café wäre, würde ich seine immergleichen Geschichten und seine absurde Laberei nicht aushalten, denn natürlich ist seine Freundin gerade schwanger, während er sich mit mir amüsiert. Am Abend würde ich den Bundeswehrsoldaten vielleicht küssen, aber dann wäre ich so genervt von seinem anhänglichen Hundeblick, dass ich mich schnell aus dem Staub machen würde. Beim Frühstück mit dem Maler würde ich sein Selbstmitleid und die Eifersucht nicht mehr still mit einem Lächeln quittieren und am Nachmittag mit dem Schauspieler verzweifeln ob seiner Schwäche, mit seiner eigenen Schwäche umzugehen.
Man könnte sagen, ich sei anspruchsvoller geworden, aber das stimmt nicht. Ich bin nur müde geworden. Müde davon, Unsicherheit und Schüchternheit zu faken, weil die meisten Männer Angst bekommen, wenn sie spüren, dass eigentlich sie der schwache Part sind. Der Einzige, der immer mit mir auf Augenhöhe war, war er. Der charmante Lügner. Der die schönsten Liebesnachrichten an mich schrieb, wenn eine andere neben ihm lag.



Dienstag, 26. Juni 2018
Unabsichtlichkeiten.
Ich stehe in der Cafeteria in der Schlange, als ich merke, wie ein Mann im hinteren Teil des Raumes meinen Blick auffängt. Wir sehen uns an, und dann steht er auf, und stellt sich hinter mich, die Tasse in der Hand. Ich sage: Wollen Sie das nur abgeben, dann können Sie ruhig vorgehen., er sagt: Ich habe Zeit., lächelt und sieht mich tief an. Ich lächle auch, und er beugt sich zu mir und sagt: Und, was ist Ihre Profession., ich will gerade antworten, als die Mitarbeiterin der Cafeteria sagt: Wenn Sie nur abgeben wollen, dann bitte jetzt., und ich sage ironisch: Na, jetzt müssen Sie doch vorgehen., und mir scheint, er fasst das als einen Korb auf, nachdem er plötlich ganz miesepetrig dreinschaut, seine Tasse hinknallt, den Koffer nimmt und abrauscht und mich, gelinde gesagt, ziemlich verwirrt zurücklässt.



Freitag, 22. Juni 2018
Altersfragen.
Gegenüber im Zug sitzt ein junger Typ um die dreißig. Er ist schon unwirklich attraktiv, nicht so "schön" wie neulich einmal dieser französische Bratschist, sondern wirklich unwirklich attraktiv. Dreitagebart, ein männlich-markantes, aber trotzdem fein geschnittenes Gesicht, einen ausnehmend perfekten Körper nicht zu schlank, nicht zu dick, gut angezogen, und diese Lippen, ich kann meinen Blick gar nicht abwenden. Ich bin nun einmal oberflächlich.
Während ich ihn so ansehe und mir gar nichts dabei denke, weil ich ihn ja nur ansehen will, hebt er plötzlich den Blick, sieht mir in die Augen und lächelt mich an. Ich sehe weg und bin verwirrt. Und als ich mich frage, warum, fällt es mir auch ein. Ich weiß gar nicht mehr, wie lange es her ist (es muss ewig sein, kann ich mich überhaupt daran erinnern), dass ich einem Mann näherkam, der so alt war wie ich und nicht wie immer zwanzig, dreißig Jahre älter. Ich weiß nicht, wie lange es her ist, aber ich weiß auch gar nicht mehr, wie es war. Verdrängt, vergessen?



Montag, 18. Juni 2018
Verwirrungen.
Während ich mich gerade auf meinem Platz im Konzertsaal einrichte, bemerke ich den Blick eines Mannes mittleren Alters. Er ist anscheinend mit seinem Sohn gekommen, und als ich zurückblicke, sagt er zu diesem: Hol bitte noch ein Programmheft., der Sohn sagt: Hä, warum, eins reicht doch., und der Vater sagt eindringlich: Tu, was ich dir sage.
Irgendetwas stört mich an diesem Dialog, und deshalb will ich auf die erwartbare Situation auch nicht eingehen, denn natürlich, kaum, dass der Sohn gegangen ist, dreht sich der Vater zu mir, aber mir ist das irgendwie auch zu billig, immerhin bin ich im Alter des Sohnes und ein bisschen weniger erwartbar fände ich da durchaus angemessen, und so lasse ich ihn mich anstarren, vier, fünf, sechs, sieben Sekunden, dann gibt er frustriert auf. Er zieht sein Handy aus der Tasche und als Hintergrund, wie ich von meinem Platz hinter ihm mühelos sehen kann, er, seine Frau und die beiden Kinder. Ich bin nun wirklich kein Moralapostel und habe mich weder von Eheringen noch sonst etwas abhalten lassen, wenn ich einen Mann attraktiv fand, aber an manchen Tagen kotzt mich diese scheinheilige Heile-Familie-Doppelmoral wirklich an.
In der Pause will ich dementsprechend meine Unklarheit in Sekt ertränken und treffe auf den Souveränen. Nach all der Zeit sind wir immer noch beim "Sie", nur bin ich nicht in der Position, das zu ändern. Wir reden also ein bisschen über dies und das und plötzlich bemerke ich irritiert, dass er mit mir flirtet, was er bisher nie gemacht hat. Ich denke, ich muss mich irren, schließlich ist er immer sehr charmant und galant, aber nein, er lächelt eine Spur zu intensiv, sieht mir tief in die Augen und berührt mich bei jedem Scherz am Arm. Neulich, denke ich, neulich habe ich ihn noch händchenhaltend mit seiner Frau gesehen, nach all den Jahren strahlen beide immer noch eine gewisse Verliebtheit aus. Aber sie ist ja, im Gegensatz zu mir, auch nicht da.



Freitag, 15. Juni 2018
Schicksale.
Mit der Steigerung meines beruflichen Erfolgs, so scheint es mir manchmal, hat im Gegenzug mein Erfolg beim anderen Geschlecht nachgelassen. Vermutlich verunsichere ich den ein oder anderen Mann oder zumindest komme ich immer wieder in die Situation, dass ich merke, dass mein Gegenüber nicht damit umgehen kann, dass ich ihn in puncto Souveränität um Meilen übertreffe. Manchmal denke ich dann an meine beginnenden Zwanziger zurück, in denen ich zwar auch schon furchtbar abgebrüht agierte, aber immerhin noch mädchenhafter aussah, außerdem manchmal durchaus schüchtern sein konnte und mir außerdem meiner Attraktivität noch nicht bewußt war. Nun hingegen fürchte ich, dass mir meine im Alltagsleben durchaus angenehme Entspanntheit, mein milder Sarkasmus und das Wissen, dass die Probleme von anderen mit mir meist recht wenig zu tun haben, noch nicht mal mit viel Phantasie als schüchtern oder mädchenhaft interpretiert werden könnten, und das sind nunmal aber leider die Eigenschaften, die die Männer, für die ich mich interessiere, für kapital wichtig halten, zumindest offenbar. Die einzigen, die mich zuverlässig anflirten, sind introvertierte, schmalbrüstige, jungenhafte Männer, vermutlich auf der Suche nach einer Mutterfigur, bei deren unbeholfenem Lächeln ich mich jedes Mal fassungslos in der Bahn zu meinem Spiegelbild in der Fensterscheibe drehe und mich innerlich laut aufseufzen höre.



Freitag, 1. Juni 2018
Abschiede.
Manchmal denke ich über all das nach mit diesen Dingen wie Partnerschaft und Beziehungen und dann denke ich darüber nach, dass ich an netten Männern einfach nichts finden kann, und, um mich langfristig für einen Mann zu interessieren, er schon eine gewisse Abgründigkeit besitzen muss, dass ich ihn zumindest als einigermaßen auf Augenhöhe akzeptieren kann. Diese Abgründigkeit widerspricht aber dadurch, dass sie im Normalfall viel Chaos erzeugt, meinem ureigenen und vermutlich zu meinem Begehren völlig paradoxem Bedürfnis nach absoluter Ruhe, was früher oder später dazu führt, dass ich mich frage, warum in aller Welt ich mein so wundervoller Alleinesein aufgegeben habe für ein chaotisches mit jemandem sein, der es immerzu schafft, sich und meinen disziplinierten Alltag durcheinanderzubringen. Vermutlich sehne ich mich innerlich manchmal nach diesem arnarchischen Etwas und fühle mich deshalb zu dieser Eigenschaft hingezogen, während sie mich gleichzeitig fürchterlich abstößt und ich mir nur noch Ruhe wünsche. Vielleicht heißt es, einfach und auf Dauer Abschied nehmen von der Vorstellung, Partnerschaft wäre in jedem Fall für jeden Menschen eine Bereicherung und Verbesserung seiner Lebensumstände.



Freitag, 25. Mai 2018
Vorstellungen.
Letzten Herbst war er mir bei unserer ersten Begegnung sofort aufgefallen. Attraktiv war er im eigentlichen Sinne nicht, aber seine massige Gestalt, die sanfte dunkle Stimme, die großen Hände und die Art, wie er ruhig und unaufgeregt und trotzdem so charmant dort saß, faszinierten mich. Als es dann an ihm war, eine Rede zu halten, setzte er seine Brille auf und wie er dort so stand, in seiner unaufgeregten Intellektualität, schoß mir ein Bild durch den Kopf, wie er und ich morgens zeitungslesend frühstücken und in einer unaufgeregten Vertrautheit zusammensitzen würden. Auch schoß mir ein Bild durch den Kopf, wie ich mit ihm schlafen würde, meinen schlanken Körper gegen seinen massigen drücken würde, und die Vorstellung gefiel mir nicht wenig.
Aber nichts dergleichen passierte. Er erzählte davon, dass er sich nach der Veranstaltung noch eine Ausstellung ansehen wollte und ich sagte: Ach, das würde mich auch interessieren. Aber er fragte nicht und ich sagte dann auch nichts mehr, und schließlich endete der Tag noch damit, dass ich erfuhr, dass er gar nicht auf Frauen stand. Mir blieb damit nur die Vorstellung des Frühstücks und der Intimität mit einem im entschiedendsten Sinne unerreichbaren Mann, und das deprimierte mich doch einige Tage.



Dienstag, 22. Mai 2018
Angebote.
Ich kann mich noch gut an ihn erinnern, den Schauspieler aus Thüringen, mit dem ich mich unterhielt, während er an einer Betonsäule stand und sich, warum auch immer, an ihr festhielt. Er war nicht sonderlich hübsch, aber er hatte so einen wilden Charme, und so sah er, trotz mächtigem Bauch und eher ungepflegter Erscheinung, doch auf eine seltsame Art gut aus. Auf der Party im Keller eines anderen Schauspielers dann, saß ich irgendwann aus Platzmangel auf seinen Beinen, ich sagte: Du könntest mich ja auch fragen, ob ich mit zu dir gehen will., und er sagte: Ich habe aber eine Freundin., und ich sagte: Das war gerade auch kein Heiratsantrag, sondern ein anderes Angebot.
Seine Hand rutschte unter meine Bluse und er strich mir über den Rücken, er rang sichtlich mit sich selbst und sagte dann: Los, wir gehen! Nie werde ich vergessen, wie wir aus dem Keller an die kühle Nachtluft kamen, und er mich, vermutlich, wie er es auf der Bühne tat, vermeintlich in wilder Begierde ansah, was in meinem Empfinden derart urkomisch und lächerlich anmutete, dass ich verzweifelt versuchte, meinen Gesichtsausdruck nicht allzu stark entgleiten zu lassen.
Als ich etwa zwei Stunden später in seiner Schauspielerwohnung aufstand und mich anzog, sagte er: Bleib doch noch. Ich bleibe nie, sagte ich und ging.



Donnerstag, 10. Mai 2018
Vorlieben.
Wieder einmal einer dieser Sektempfänge, bei denen ich eigentlich nach dem ersten Glas mit dem Sekt aufhören oder zumindest auf Wein umsteigen sollte, und es dann doch nicht tue. Hinzu kommt, dass jedes Mal, wenn ich gehen will und deswegen schnell den Rest meines Sekts hinunterstürze, mir direkt nachgeschenkt wird und ich dann doch noch einen Moment bleibe und doch noch ein Glas mehr trinke. Dem bärigen Typen gegenüber ist das ganz recht, der mir schon eine ganze Weile Komplimente macht. Als alle über eine amüsante Anekdote lachen, legt er mir gar die Hand auf die Schulter und lässt sie eine Weile dort. Rein vom Äußeren wäre er trotz seines recht jungen Alters sogar mein Typ: kräftig, breite Schultern, starke Unterarme. Leider gibt es ein entscheidendes Problem: Ich stehe überhaupt nicht auf nette Männer.