Dienstag, 27. August 2019
Risse im Selbstbild.
Am Sonntag sitzen wir auf dem Balkon unserer Jugendstilvilla, trinken Gin Tonic und der Mann sagt: Ich geh morgen mit XY abends ein Bier trinken. Ich sage: Ach, schön, dann mache ich was mit...
Ich stocke.
mit....
Ich überlege.
Ich überlege länger.

Kurzer Gedankensprung: Vor etwa einem Jahr saß ich noch auf dem verschlissenen Balkon meiner kleinen Wohnung in der Metropole, guckte auf den Garten, in dem die tätowierte Frau im Spaghettiträgertop mit grünen Haaren und Raucherstimme ihren Sohn anbrüllte. Ich war völlig am Ende. Ich hatte schlicht zu viele Sozialkontakte. Mir war schon schlecht von dem vielen Kaffee und Kuchen, auf den ich mich täglich mit A und B und C und D traf. Mein Terminkalender platzte aus allen Nähten, und das zusätzlich zu den zig beruflichen Terminen. Ich musste etwas tun, und fing an, auszusortieren. Mit A hatte ich eh nichts mehr gemeinsam. B war weggezogen und ich hatte keine Lust, jedesmal zu fahren. C bekam es nie hin, sich von sich aus zu melden, und D? Ach, die traf ich doch eh nur, weil ich es nicht übers Herz gebracht hatte, ihr zu sagen, dass ich sie eigentlich gar nicht mag.
Für mich war es also ein Erfolg, mein Umfeld auszusortieren, Freundschaften hinter mir zu lassen.Es machte ja auch nichts. In der Metropole gibt es immer Nachschub, man lernt ja sowieso ständig neue Leute kennen.

Und dann, dann kam der Mann.
Der Mann, wegen dem ich die Metropole verließ.

Und jetzt sitze ich auf dem Balkon jenseits der Metropole und weiß, nachdem die gute X im Urlaub ist, und ich keine Lust habe, für ein Glas Wein am Abend zwei Stunden zu Z zu fahren, zur Hölle nicht, mit wem ich einen Abend verbringen kann.
Und es gibt keinen Nachschub. Das hier ist nicht die Metropole. Ich bin die Hälfte der Woche nicht vor Ort. Vor lauter Arbeit, dem Wunsch nach Ruhe und Alleinsein und dem überdimensionierten Freundeskreis des Mannes habe ich gar nicht bemerkt, dass mein Umfeld sich zahlenmäßig erst dezimiert hat und sich langsam aber sicher Richtung Null bewegt.

Der Mann will helfen, schlägt vor, ich solle doch etwas unternehmen, mich in einem sozialen Netzwerk anmelden, einen Kennenlernabend mitmachen. Am nächsten Tag erzählt er XY davon, der glaubt, ich solle mich in einem Künstlerdorf engagieren. Mich machen die Vorschläge fassungslos. Als sei ICH jemand, der verzweifelt nach Bekannten suchen müsste!
Aus Langeweile schreibe ich K., die einzige aus dem Bekanntenkreis des Mannes, die selber in der Metropole gewohnt hat, selber hier ins Grüne gezogen ist und mir letztens einsam schien mit ihrem viel zu großen und viel zu unbeholfenen Mann. Sie schreibt freudig zurück, was mich kaum interessiert. Der Mann glaubt, mich aufmuntern zu müssen und sagt: Ja Mensch, toll, wie nett sie dir geschrieben hat! Als sei ICH jemand, der dankbar sein müsste, wenn sich jemand mit ihr treffen will!

Das Ganze macht mich fassungslos. Mich macht es fassungslos, mir den Mann mit seinem Freund XY vorzustellen, wie sie gemeinsam überlegen, wie ICH Freunde finden könnte, ICH, die in den letzten Jahrzehnten von Stadt zu Stadt zog und sich nach kürzester Zeit vor Sozialkontakten kaum retten konnte. Nur weil ich in dieser Provinz gelandet bin, und hier in der Jugendstilvilla fernab jeglichen Lebens keine Chance habe, rauszukommen, zu atmen, diesem Gefängnis der ganz eigenen Sorte zu entfliehen.

Es wird Zeit, dass mein Urlaub vorbei ist und ich mich wieder in die Arbeit stürzen kann.



Samstag, 10. August 2019
Zufälle.
Es gibt ja Frauen, die sollen einen guten Einfluss auf Männer haben. Ab und an höre ich einen von ihnen, der sagt: Ach, seit ich meine Frau kenne..., und dann folgt ein langer Schwall von Lobesbekundungen. Seither wissen sie, was zählt, seit diese ihnen ein Ultimatum gestellt hat, ihnen den Kopf gewaschen hat, ist ihr Leben besser und sie haben wasauchimmer (es soll aber wichtig sein) erkannt.
Ich bin offenbar das Gegenteil dieser Frauen.
Meine Bilanz? Vernichtend.

Partner Nr. 1: Ausgezeichnetes Talent, hervorragend und gebildet. Nach dem Beginn unserer Beziehung zweieinhalb Jahre arbeitslos, depressiv, von morgens bis abends im dunklen Zimmer vorm Bildschirm. Nach unserer Trennung erfolgreiche Ausbildung, heute Leiter einer Institution.

Partner Nr. 2: Bei unserem Kennenlernen sichere und gutbezahlte Position. Kurz nach dem Beginn unserer Beziehung kündigt er und ist geschlagene sechs Jahre arbeitslos. Privatinsolvenz. Inkasso. Schulden. Nach der Trennung stirbt eine entfernte Verwandte und er erbt einen sechsstelligen Betrag.

Nachdem nun Partner Nr. 3 bei unserem Kennenlernen überdurchschnittlich erfolgreich war und er jetzt, seit wir uns kennen, auftragslos und zielsicher in die Insolvenz marschiert, muss ich nun, ganz ernsthaft, über meine Rolle in dem Ganzen nachdenken.



Dienstag, 6. August 2019
Abschnitte.
Gestern abend, als ich auf dem Balkon der Villa im Grünen sitze, wird mir schlagartig bewusst, dass ein Teil meines Lebens vorbei ist.
Die letzten Jahrzehnte habe ich damit verbracht, von einem morgen zu träumen, in dem ich erfolgreich wäre, respektiert, gefragt, mit einem Partner an meiner Seite. Anstatt im Moment zu leben, habe ich mir vorgestellt, wie ich das, was ich gerade tue, teilen würde, mit dem, der da eines Tages käme, und ich war immer überzeugt, dass das nie passieren würde, dass da niemand käme.
Und jetzt? Jetzt bin ich da, wo ich sein wollte. Ich erhalte Mails mit Angeboten, die Blicke hängen respektierend und bewundernd an mir, der Mann ist ein Traum, und der Sex ist toll. Was will man mehr.
Aber gestern, plötzlich auf dem Balkon, als ich den Gin Tonic in der Hand halte, und meinen Blick über das Grün schweifen lasse, wird mir klar, dass die Suche vorbei ist. Die Jahre des Leidens, des Verachtetwerdens, des Fallens, der Scheiße, der Abstürze, Unsicherheit, des Einsamseins. Des Gefühls, dass es keinen interessiert, wenn man sterben würde.
Das absurde ist jetzt, dass ich diese Jahre, Jahrzehnte des Suchens und Leidens jetzt schon fast vermisse. Es war schlimm. Aber aufregend. Ich wusste nie, was morgen kommt, wie es mir morgen geht, wohin der Weg führt. Illusion, Desillusion, Tragödie - alles lag so eng beieinander.
Ich habe Angst, dass es jetzt lau wird.



Sonntag, 4. August 2019
Unklarheit.
Es gibt viele gute Tage. An diesen denke ich, alles ist perfekt. Ich schwebe auf Wolke Sieben, kann gar nicht glauben, wie gut und schön alles sein kann.
Und es gibt dunkle Tage. So wie heute.
Da frage ich mich, ob wir uns wirklich was zu sagen haben, wenn wir wieder so schweigend nebeneinander im Auto oder abends auf der Couch sitzen. Filme schauen, weil wir eigentlich gar nicht wissen, was wir miteinander reden sollen.
Da frage ich mich, ob wir wirklich etwas gemeinsam haben, wenn er diese merkwürdige Musik hört, oder Dinge mag, die ich nicht ausstehen kann.
Da frage ich mich, ob es das ist, was ich wollte. Ob ich auf Dauer im Grünen am - für mich - Ende der Welt, statt am Puls der Zeit leben kann. Alleine wäre ich hier sicher nicht. Ist es das Leben, das ich wollte und will, oder nicht?
An Tagen wie heute weiß ich keine Antwort.



Freitag, 28. Dezember 2018
Ungewohnt.
Ich dachte, es lässt nach. Ich dachte, es lässt nach und irgendwann merke ich, dass ich der nächsten Illusion aufsitze. Stattdessen wird es besser, vertrauter, noch einfacher, und dabei war es doch von Anfang an so einfach. Ich denke die ganze Zeit, jetzt kommt bestimmt gleich der Punkt, an dem es verkorkst wird, aber der Punkt kommt nicht.
Ist das Liebe?



Sonntag, 9. Dezember 2018
Neuland.
Totale Verwirrung. Ist das Glück? Liebe auf den ersten Blick?
Ich, die Bindungsängstliche, die sich freut, wenn er fünf Tage nach dem Kennenlernen von mir als "seiner Frau" schreibt; die noch nicht einmal weg ist, und schon fragt: Wann sehen wir uns wieder? Die ihm minutenlang verliebt in die Augen starrt, wo ich doch sonst einen regelrechten Ekel vor diesen Dingen verspüre.
Es ist alles so anders, alles so: unkompliziert. Einfach. Selbstverständlich.



Montag, 3. Dezember 2018
Abrechnung.
Mit der Zeit entwickle ich ja in anstrengenden Phasen immer einen gewissen Sarkasmus. So auch jetzt. Mir schwebt vor, Buch zu führen, über die Männer. Da fällt mir auch direkt eine Aufstellung meiner negativen Top 4 ein:

Der Schauspieler
Dick, bärtig und irgendwie ungepflegt wanzt er sich auf einer Kellerparty an mich heran, fasst mir unter die Bluse und sagt dann, er sei aber vergeben. Als ich sage, dass ich ihn ja nicht heiraten will, aber wohl mit ihm nachhause gehen würde, ist er völlig paralysiert, wirft mir "wilde", in Wahrheit ziemlich alberne Blicke zu und zerrt mich in seine Wohnung, wo er dann aber aus lauter Überforderung gar nicht kann.

Der Bühnenbildner
Ziemlich unscheinbar wundert es mich, als er mich angräbt, um mit mir auszugehen. In der Stadt, in der er seit 10 Jahren wohnt, kennt er allerdings kein einziges Lokal. Als ich eines bestimme, setzt er sich ans andere Ende des Tischs und erzählt mir vier Stunden, dass sein Leben langweilig ist und er eigentlich nichts macht. Als ich kein zweites Date will, stalkt er mich und veranstaltet Psychoterror. Nach einer Ansage meinerseits traut er sich nicht mehr "Hallo" zu sagen.

Der Lehrer
Der Lehrer ist deutlich älter, nicht sehr attraktiv und dazu auch noch unsicher. Ein junges Date will er offenbar nicht wegen der körperlichen Attraktivität, sondern vermutlich, weil er schlecht mit seinen Schülerinnen schlafen kann, es aber offensichtlich gerne würde. Nachdem ich ihm zu wenig mädchenhaft bin, strengt er sich zwar an, aber für uns beide ist das Rauchen und Rotweintrinken im Bett danach vermutlich der angenehmere Teil des Abends.

Der Anzeigenmann
Hübsch, dreiundvierzig, Typ Geschäftsmann., schrieb er und als er dann das Restaurant betritt, denke ich: Nein. Nicht hübsch. Definitiv nicht dreiundvierzig. Und Typ Geschäftsmann nur in seinen Träumen. Der Sex ist gar nicht mal so schlecht, aber von seinem Geruch wird mir übel. Als er mir danach in die Augen sieht und Liebesgesäusel vorschwärmt, ist mir endgültig schlecht und ich gehe.



Freitag, 30. November 2018
Nostalgie.
Nun fühle ich mich langsam wieder wie mit Anfang Zwanzig, als ich von einer Sache in die nächste gerutscht bin, oft noch parallel hier den einen und nachts im Club den anderen. Nur gefällt es mir nicht mehr.
Ich sehne mich nach dem Ankommen. Das klingt so albern, so nach Bausparvertrag, nach Reihenhaus, nach Einbauküche, aber so meine ich das gar nicht. Ich will meine Unabhängigkeit und meine Freiheit, aber mit jemandem, der auch mal da ist, wenn ich ihn brauche, jemandem, der sich an eine Absprache hält, und vor allem mit jemandem, der sich nicht von meiner Fassade blenden lässt und mir wieder diese Sätze von selbstbewusst und stark vorbetet, wo ich eigentlich nur müde bin und auf der Suche nach einem Ort, wo ich mich vor mir und der Welt erholen kann.



Sonntag, 25. November 2018
Reflexion.
Nun stehe ich wieder einmal vor meinem aufgewühlten Leben und weiß nicht, ob ich richtig daran getan habe, es so aufzubrechen. Die letzten Jahre waren ruhig - das ist die positive Interpretation. Gefühllos. Langweilig. Frustrierend. So, dass ich mich völlig in mich selbst zurückgezogen habe, die emotionalen und sensiblen Teil abgeschnitten und abgekapselt habe. Keine Leidenschaft, keine Liebe, keine Zärtlichkeit.
Aber eben auch kein Drama, kein Schmerz, keine Unsicherheiten.
Jetzt ist alles wieder wie auf offener See und ich habe die ganze Zeit das Gefühl, über Bord zu gehen und zu ertrinken und frage mich, ob es wirklich so richtig war, die friedliche und stille Insel meiner Einsamkeit zu verlassen.



Freitag, 9. November 2018
Zukunft.
Er ist alt geworden. Alt und hässlich.
Vor ein paar Jahren noch hatten wir Kontakt, er beschwerte sich damals, dass ihn die Frauen meiden würden, weil er so gebildet sei und sie Angst vor seinem Intellekt hätten. Ich hatte keine Angst vor seinem Intellekt, aber seine Besserwisserei ging auch mir irgendwann auf den Nerv.
Inzwischen ist er alt geworden und hässlich, der Zahn der Zeit nagt eben an uns allen.