Rückblickend.
Am meisten geärgert hat mich an der Tatsache, dass er fremdgegangen ist, dass ich damals in einer kalten Februarnacht diesem älteren bärtigen Unternehmer, der mich vor einem Club ansprach, mir Komplimente machte, mir schließlich gar das Angebot machte, ich solle doch mit ihm mitkommen, in seine Villa ans Schwarze Meer, er hätte sogar eine Yacht, dass ich also diesem Unternehmer, der mir sogar Champagner ausgab, dass ich ihm also und tatsächlich nicht einmal meine Nummer gab, sondern, obwohl er da stand und darauf wartete, dass ich irgendwie einlenkte, einfach ging und ihn da stehen ließ und ihm nicht einmal meine Nummer gab, das bereue ich, so muss ich es schlicht und ergreifend sagen, bis heute.
Zufälligkeiten.
Manchmal ist die Ironie des Lebens derart ausgeprägt, dass ich auch nicht mehr weiß, was ich davon halten soll. Mit vierzehn hatte ich eine Phase, in der ich die Bücher eines Anwaltes verschlang und zugleich überzeugt war, ich würde eines Tages die, zwar unglückliche, aber immerhin: die Frau eines Anwaltes sein. Im gleichen Jahr umwarb mich ein älterer Mitschüler, der sich einen Abend mit mir vergnügte, dann einen Monat "überlegte", um mir dann, nachdem er sich zur gleichen Zeit mit mehreren anderen traf, mitzuteilen, er sei sich einfach nicht sicher, wie das werden würde. Vermutlich weniger wegen ihm, sondern vielmehr wegen dem Korb, den er mir gab, trauerte ich, in Selbstzweifeln ertrinkend, ihm fast ein Jahr nach. Neulich, in einem Anflug von Nostalgie, gab ich seinen Namen in die Suchmaschine ein, und siehe da: Er war, was für ein Zufall, Anwalt geworden.
An einem anderen Tag.
Ich bin müde und sitze am Tresen, neben mir das schwule Pärchen, das mir enthusiastisch das Neueste erzählt, beide sehen sich nach all den Jahren verliebt an und küssen sich, während ich zuviel Rotwein trinke. Während ich so, ein wenig melancholisch, ein wenig angestrengt, vor mich hinstarre, fange ich den Blick eines dunkelhaarigen Mannes in der Ecke auf. Ich denke am Anfang noch, der Blickkontakt war zufällig, aber dann sehen wir uns lange an, immer wieder, er lächelt, ich nicht. An einem anderen Tag würde ich vermutlich zu seinem Tisch gehen und mich zu ihm setzen und meine Hand auf seinen Oberschenkel legen und ihm ein eindeutiges Angebot machen. Er sieht wahnsinnig gut aus. Aber heute, heute denke ich nur daran, dass mir das Ganze diesen wahnsinnig gutaussehenden Mann, der sich so offensichtlich für mich interessiert, dass mir das Ganze also diesen Mann auch nur verleidet und so drehe ich mich zu dem schwulen Pärchen und frage, ob wir gehen können.
Überreste.
Es war in einer kleinen Bar im Spätherbst, dass ich mich vom Techniker verabschiedete. Ich stand vor ihm, der mit seinen zwei Metern noch auf dem Barhocker in Augenhöhe saß, und wir drückten erst links, dann rechts die Wangen aneinander, und dann zog er mich plötzlich an sich und küsste mich. Am Tag darauf stand er vor meiner Tür und wir liefen durch die Stadt, mit seiner Pranke umschloss er meine Hand, wir saßen im Café und gingen danach zu mir. Woche um Woche verging, der Frühling kam, aber der Techniker nicht mehr. Obwohl von Anfang an klar gewesen war, dass es nicht allzulange gehen würde, sah ich melancholisch auf das verfaulte Laub, das auf den Wegen lag und das einzige war, was noch vom Spätherbst übrig zu sein schien.
Unbekümmertheiten.
Gestern hatte ich Sehnsucht nach dir, ein wenig zumindest, was komisch war, weil ich nie Sehnsucht nach dir habe, aber gestern war es so, ein wenig zumindest, zumindest das. Ich erhielt eine Nachricht, die an meinem Ego kratzte, und ich erinnerte mich an eine Situation Ende letzten Jahres, als wir uns darüber unterhielten, wie das ist, wenn die eigene Arbeit einmal nicht gut ankommt, und du zucktest lächelnd die Schultern und meintest, dass das früher oder später eben vorkomme, und man solle das nicht allzu ernst nehmen, und du wirktest dabei glaubhaft unbekümmert.
Nachtluft.
Er sieht etwas ungepflegt aus, der Dünnste ist er auch nicht, aber das Wissen um seinen beruflichen Status macht es wieder wett. Es ist offensichtlich, dass er einer derjenigen aus dem Kulturbereich ist, die meinen, sie müssen sich nicht pflegen, weil sie so hohe Tiere sind und ihnen allein deswegen die Frauen nur so nachlaufen. Das sagt auch sein schmieriger Blick und die schmierige Art, wie er mich fragt, ob er mich noch auf einen Wein einladen darf. Ich lasse ihn einen Moment warten und sage dann: Wir können den Teil des Abends auch überspringen und gleich zu dir gehen., was wir dann auch machen.
Als er sich später walrossgleich von mir herunterrollt, stehe ich auf und ziehe mich an. Bleib doch noch., sagt er, der wie so viele Männer danach so anstrengend anschmiegsam ist, aber ich schüttle den Kopf und ziehe die Wohnungstür hinter mir zu. Obwohl eine Bahnstation in der Nähe ist, laufe ich nach Hause, ich liebe die kalte Nachtluft, die Ruhe, den klaren Himmel, die Stille in mir.
Älterwerden.
Er ist wieder weg, wieder einmal weg, bei ihr oder einer anderen, wer weiß das schon. Ich wollte immer frei sein, immer frei atmen, frei leben, und nun sitze ich bei manch einem in der Küche und sehe den liebenden Ehemann und Vater seine Kinder umsorgen, und der Frau vertraut über den Rücken streicheln und kochen, überall stehen Familienfotos und Urlaubsbilder, und alles was ich spüre ist Sehnsucht nach einem Mann, der nicht alles ins Chaos stürzt, der nicht eine Art großes Kind ist, das sich ständig in Schwierigkeiten bringt, trotz des Charmes, natürlich trotz des Charmes, und mich bestätigt der Blick auf die Schlanke, die nun schon so lange Ehefrau des gealterten Don Giovanni ist, und trotz seines immer noch nicht erkalteten Charmes doch nur noch seine Launen und seine Sprunghaftigkeit sieht, zumindest sagt das ihr Blick, wie sie ihn mit einer Mischung aus Abscheu und Resignation mustert. Ja, ein Don Giovanni verliert im Alltag schnell seine Galanterien und übrig bleibt eine nervenaufreibende Instabilität, dass man sich glatt zum langweiligen Biederehemann in die Wohnung wünscht, oder bedeutet mein Gedanke nur, dass ich älter werde?
Aufdringlichkeiten.
Gestern saßen wir zu viert im Café,lachten, redeten, tranken, und dann drehte sich die eine zu mir uns sagte: Ach, so angeheitert war ich das letzte Mal im Sommer, als wir den ganzen Abend am Wasser saßen., und auch ich dachte daran, dass wir damals alle das Gegenteil von nüchtern waren und mir gegen Ende einmal der Plastikbecher mit dem Wein beim Reden aus der Hand fiel, weil ich nicht mehr den Becher halten und gleichzeitig reden konnte, und dem Redakteur neben mir fiel auch andauernd seine Zigarette auf den Boden, weil es ihm ähnlich ging und ich hob sie dann auf und rauchte weiter, und schließlich flüsterte er mir ins Ohr und als wir aufbrechen wollten, umarmte er mich und wir küssten uns. Während sich das in dem Moment irgendwie gut anfühlte, und richtig und locker und leicht, fand ich es am nächten Tag irgendwie peinlich und noch peinlicher fand ich seine Liebeserklärungen, die daraufhin folgten. Ich sagte ihm klar, dass es nie etwas zwischen uns geben wird, und trotzdem suchte er immer wieder meine Nähe, selbst beim letzten Mal, als er mit seiner neuen Freundin auftauchte, und sie im Eck alleine sitzen ließ, um mich zu umgarnen, was selbst mir, tatsächlich, deutlich unangenehm war.
Anzüge bei Nacht.
Als wir vor etwa einem Jahr im Sommer in dieser Gartenlaube saßen und ich mit dem Lockenkopf meine Zigarette teilte, da saß mir der Lehrer gegenüber, der im Halbdunkel durchaus attraktiv wirkte, in seinem Anzug, mit seinen anzüglichen Bemerkungen, mir ein Kompliment nach dem nächsten machend und davon sprechend, dass er noch ein richtiger Mann sei. Auf dem Weg zurück zum Hotel flüsterte er mir ins Ohr, dass er viel zu alt für mich wäre, was ich mit einem Augenrollen quittierte. Am nächsten Morgen bei Licht, ohne Anzug und ohne Alkoholpegel sah er nicht mehr halb so attraktiv aus und ich war froh, dass ich mein Zimmer doch mit einer Kollegin geteilt hatte.
Nun aber trafen wir uns wieder, und der Lehrer fragte, ob er mich zum Bahnhof fahren sollte, und als wir im Auto saßen, wiederholte er: Zum Bahnhof?, und ich sagte: Zum Bahnhof, oder dahin, wo du mit mir hinwillst., und er lachte und ich sah ihn ernst an und dann fuhr er mit mir zu sich nach Hause.
Der Nachbar.
Ich habe ihn schon oft mit Augen ausgezogen, den Nachbarn, seit diesem einen Tag, als dieses Tier von einem Mann vor mir herlief, stämmig, breitschultrig, und ich ihm unverhohlen auf den Hintern starrte, und er sich umdrehte und ich meinen Nachbarn erkannte, der ein wenig überrascht, aber dann doch bestimmt meinen Blick erwiderte. Jedes Mal, wenn wir uns seither im Treppenhaus begegneten, er meist mit seiner Frau und den Kindern, sah er mich wissend an. Genauso wissend schaute er nun auch, als ich in die Waschküche kam, ich nickte ihm zur Begrüßung zu und ging zur Waschmaschine und bückte mich, ich hörte, wie die Tür zuging, aber er war gar nicht gegangen, stattdessen spürte ich seine Hände auf meinem Hintern und wie er sich gegen mich drückte. Nicht hier, sagte ich, er sah mich fragend an, und lächelte, als ich die Tür zu meinem Kellerabteil aufsperrte.